Die Idee für den heutigen Artikel stammt vom US-Tradingpsychologen Rande Howell. Er stellt folgende Frage: Warum sind so wenige Menschen an der Börse erfolgreich, selbst wenn sie die richtigen Tools kennen und nutzen? Wenn nur der Wille, zu gewinnen und harte Arbeit notwendig wären, gäbe es viel mehr erfolgreiche Trader. Auch Intelligenz allein scheint nichts zu nützen.
Das Problem: Man glaubt ohne genaue Überprüfung daran, es schaffen zu können. Daran, dass man nicht wie die meisten anderen scheitern wird. Daran, den Weg zur “Freiheit” erfolgreich zu gehen. Und die Trading-Industrie stützt diesen Glauben, schließlich profitiert sie von den immer neuen Kunden.
Begibt man sich dann mit echtem Geld ins Trading, läuft alles anders als geplant. Regeln werden über Bord geworfen, denn plötzlich “weiß man es besser”. Die Emotionen übernehmen Kontrolle. Dagegen hat unser rationales Denken leider keine Chance.
Unser emotionales Gehirn will uns kurzfristig vor Schaden bewahren. Diese Funktion war in der Evolution sinnvoll, wenn es ums nackte Überleben ging. Nicht aber im Trading. Denn hier muss man gerade kurzfristig bewusst Risiko eingehen, um langfristig zu profitieren. Klingt logisch für unser rationales Denken. Aber wie gesagt muss man es erstmal schaffen, das auch wirklich umzusetzen.
“The emotional brain does not “see” long term. It sees only threat to survival in the short term. And when put to the test, the emotional brain wins every time. It simply hijacks the musings of the thinking brain as if it were dust in the wind.” (Rande Howell)
Das lässt uns noch etwas viel Wichtigeres erkennen: Unser emotionales Gehirn hat uns überhaupt erst dazu gebracht, zu glauben, dass wir es schaffen werden. Denn um dieses Wissen auf rationales Denken zurückführen, hätten wir ja ganz klare statistische Untersuchungen anstellen müssen, bevor wir jemals einen Trade gamacht haben. Klingt unwahrscheinlich, oder?
Wir leiden also darunter, uns selbst hinters Licht zu führen. Wenn das so ist, stellt sich die Frage nach einer praktikablen Lösung für dieses ziemlich grundlegende Problem.
Rande Howell schlägt vor, einen “Trading Mind” zu entwickeln. Dazu beschreibt er vier Schritte:
● Erkennen, dass unsere Gedanken nicht das gleiche sind wie wir selbst. Gedanken sind Programme, die in unserem Gehirn ablaufen. Und diese Programme kontrollieren uns – nicht wir kontrollieren unsere Gedanken.
● Emotionale Regulierung. Man muss Prozesse schaffen, die bewirken, dass wir uns im Griff haben und auch unter Druck rational handeln. Gefühle wie Angst und Ärger dürfen keine Rolle spielen.
● Reflektieren. Wir müssen lernen, das große Ganze zu sehen und zu erkennen, welche emotionalen Gedanken wir gerade haben und wie wir sie auf den Markt projizieren.
● Aktive Anwendung von Mindfulness. Der Punkt, an dem wir bewusst entscheiden können, welche Gedanken wir wirklich haben möchten. Nämlich solche, die uns kurzfristiges Risiko nehmen lassen und vorrangig auf die langfristige Profitabilität schauen.
“It is the retraining of the brain from its natural survival instinct in the short term to the long term benefit of a mind that serves intention – this is the holy grail of trading.” (Rande Howell)
Ich muss zugeben, dass ich solche tiefgründen Themen früher für ziemlichen Quatsch gehalten habe. Das hat sich geändert. Heute weiß ich, dass genau das entscheidend ist, um wirklich erfolgreich werden zu können.
“What becomes possible, though, is managing the mind that you bring into the moment of performance. It is here, outside of all the hype of winning and predicting the future, that trading victory is found. The past is gone, the future hasn’t arrived – all that can be controlled is the mind that engages the uncertainty of trading, and of life.” (Rande Howell)
Jetzt haben wir aber noch nicht darüber gesprochen, was “Gewinnen durch Loslassen” meint. Es hat viel damit zu tun, wie schwer unsere Emotionen und damit unsere Gedanken unter Druck zu kontrollieren sind. Es ist ein Paradox: Wenn wir etwas unbedingt erreichen wollen und zu 100 Prozent darauf fixiert sind, kann es sein, dass es gerade deswegen schief geht – denn wir sind emotional so stark involviert, dass rationale Entscheidungen völlig unmöglich werden. [2]
Eventuell sollten wir dann vorübergehend vom großen Ziel ablassen. Das klingt zunächst konterproduktiv. Doch es schafft auch neuen Freiraum, Flexibilität und Kreativität. Wir fühlen uns besser, weil der Druck von uns abfällt. Druck, der vielleicht nur entstanden ist, weil wir offensichtliche Dinge nicht akzeptieren wollten und dagegen angekämpft haben. So schaffen wir neue Blickwinkel, aus denen wir das Ziel dann erneut angehen.
Wenn wir beides kombinieren – den Trading Mind mit der Fähigkeit, loszulassen – stehen die Chancen gut, ein viel besserer Trader zu werden.
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Quellen:
[1] Howell, R., The Paradox of Winning by Letting Go, Zugriff am 20.12.2015,
https://www.mytradersstateofmind.com/th ... ng-go.html
[2] Aziz, D. (2012), The Paradox of Letting Go: The Secret to Getting What You Want, Zugriff am 20.12.2015,