Wenn man dazu ein Experiment mit vielen Leuten macht, kommt meist Folgendes heraus: Deutlich mehr als die Hälfte aller Teilnehmer glaubt, dass sie besser fahren können als der Durchschnitt. Was mathematisch unmöglich ist. Der Effekt, der zu dieser Selbstüberschätzung führt, nennt sich Overconfidence.
Das bedeutet nichts anderes, als dass wir zu sehr von unseren Fähigkeiten überzeugt sind. Oder anders gesagt: Das subjektive Vertrauen in unser Wissen und Können ist meist deutlich höher ist als objektiv gerechtfertigt.
Das führt zu allerlei Problemen. Zum Beispiel zu überzogenen Erwartungen, unrealistischen Annahmen und verfehlten Entscheidungen. Besonders schwerwiegend können die Folgen sein, wenn sich Overconfidence bei Menschen einstellt, die eine hohe Verantwortung tragen – zum Beispiel bei Investoren, Managern und Politikern. Sie mögen vielleicht gute Absichten haben, aber können zum Opfer ihrer eigenen Selbstüberschätzung werden.
Overconfidence ist so grundlegend, dass es praktisch in allen Lebenbereichen vorkommt. Drei typische Effekte, die sich daraus ergeben, sind:
● Überschätzung der eigenen Qualitäten bzw. von Können und Fähigkeiten und/oder Unterschätzen anderer Menschen
● Unterschätzen der Schwierigkeit und Komplexität einer Aufgabe
● Unterschätzen möglicher Risiken
Beispiel 1: Overconfidence im Sport
● Überschätzen der möglichen Leistungssteigerung in einem festen Zeitraum
● Unterschätzen der Verletzungsgefahr bei erhöhtem Trainingsumfang bzw. erhöhter Intensität
● Unterschätzen der Konkurrenten im Wettkampf
Beispiel 2: Overconfidence im Trading
● Überschätzen der eigenen Fähigkeit zur Kursprognose
● Unterschätzen der Risiken eines Trades
● Unterschätzen der Fähigkeiten des Traders, der die Gegenposition hält
Vor allem an der Börse ist Overconfidence allgegenwärtig. Das beste Beispiel ist, dass Marktteilnehmer ihre Fähigkeiten bei der Auswahl bzw. beim Timing von Trades überschätzen. Das passiert im Prinzip permanent. Jemand denkt, dass er gute Gründe hat, eine Aktie zu kaufen – aber vielleicht spielen diese scheinbar “klaren Indizien” zurzeit am Markt überhaupt keine Rolle.
Im Ergebnis kommt es zu einer ganzen Reihe verhaltensbasierter Effekte. Vom Festhalten an taktisch ungünstigen Positionen bis hin zur Kontrollillusion, dass man den Markt “im Griff hat”. Von erhöhter Handelsfrequenz (Overtrading) bis hin zum Eingehen überhöhter Risiken (Zocken).
Es ist beim Trading fast wie beim Autofahren: Jeder denkt, er wäre besser als der Durchschnitt:
„Surely, the average investor believes he is smarter than the average investor.“ [1, S. 17]
Overconfidence ist eines der ältesten und stabilsten Phänomene unseres Verhaltens. Und der Effekt ist schon lange bekannt. Er geht ursprünglich bis auf Adam Smith (1776) zurück, der in „The Wealth of Nations“ schrieb:
„The over-weening conceit which the greater part of men have of their own abilities, is an ancient evil remarked by the philosophers and moralists of all ages.“ [3, S. 93]
Aber woher kommt unser Hang zur Selbstüberschätzung? Der heutige Stand der Forschung ist, dass diese Eigenschaft einen Überlebensvorteil in der Evolution darstellte und sich daher durchgesetzt hat. [4]
Ein zentrales Argument dabei: Je höher die Unsicherheit, der man in einer bestimmten Situation ausgesetzt ist, desto größer der Vorteil, den Overconfidence darstellt. [4, S. 319] Gleichzeitig kann genau das zum Problem werden – nämlich dann, wenn wir uns in den gefährlichsten Situationen am stärksten überschätzen.
Und dennoch: Überhöhtes Selbstvertrauen ein gleichzeitig wichtiger Faktor für den Erfolg [4]. Nicht nur im Beruf und im Sport, sondern auch im Leben generell – und nicht zu unterschätzen, auch für unsere mentale Gesundheit. [4] Overconfidence kann in diesem Zusammenhang positiv sein, weil du dann noch stärker an dich glaubst und so deine Motivation, dein Durchhaltevermögen und letztlich deine Erfolgschancen steigerst. Fast wie eine Art “sich selbst erfüllende Prophezeiung”. Dazu habe ich gleich zwei super Zitate gefunden:
“Life’s battles don’t always go to the stronger or faster man. Sooner or later the man who wins is the man who thinks he can.“ (Vincent Lombardi)
„Whether you think you can, or you think you can’t – you’re right.“ (Henry Ford)
Eine Studie zeigte anhand eines Modells sogar, dass overconfidente Populationen evolutionär stabil sind. [4] Und das in einer Reihe unterschiedlicher Bedingungen und unter verschiedenen Annahmen zur Umwelt. Das stellt eine plausible Erklärung dar, warum dieses Phänomen so fest in uns verankert ist. Es war ein Vorteil in unserer Entwicklung – auch wenn es eine ganze Reihe negativer Effekte mit sich bringt.
Was aber, wenn die Realität uns zeigt, dass wir doch nicht so gut sind wie gedacht? Wenn wir uns im Sport nicht steigern können, im Wettkampf versagen, oder an der Börse Geld verlieren? Auch dafür haben wir einen mentalen Trick entwickelt: Die sogenannte Selbstattribution.
Das ist ein ganz einfacher Effekt: Während wir Erfolge unseren persönlichen Faktoren wie dem eigenen Können zuschreiben, werden Misserfolge auf externe Faktoren abgewälzt (Zufall, Pech, schlechten Tag gehabt).
Mit anderen Worten und vereinfacht ausgedrückt: Wenn es gut läuft, dann liegt das natürlich an uns. Wenn es schlecht läuft, dann konnten wir nichts dafür.
Interessant ist auch, dass selbst Experten unter Overconfidence leiden. Eine Studie der Uni Mannheim hat gezeigt, dass sich Experten tendenziell sogar stärker überschätzen. [5] Statt also auf irgendwelche Fehlprognosen von Gurus zu hören, kannst du deine Fehler zumindest selbst machen. Und wer weiß, am Ende bist du vielleicht sogar besser als die “Experten”.
Soviel zum Thema Overconfidence. Was meinst du, trifft der Effekt auch auf dich zu? Und überleg genau: Wenn du jetzt spontan “nein” denkst, dann könnte das erst recht ein Zeichen für Selbstüberschätzung sein
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Quellen:
[1] Rubinstein, M. (2001), Rational Markets: Yes or No? The Affirmative Case, Financial Analysts Journal 57(3), S. 15–29.
[2] Merkle, C. (2013), Financial Overconfidence Over Time – Foresight, Hindsight, and Insight of Investors, AFA 2013 San Diego Meetings Paper.
[3] Smith, A. (1776), The Wealth of Nations, Pennsylvania State University, Electronic Classics Series.
[4] Johnson, D. D. P. / Fowler, J. H. (2011), The Evolution of Overconfidence, Nature Vol. 477, S. 317-320.
[5] Glaser, M. / Langer, T. / Weber, M. (2005), Overconfidence of Professionals and Lay Men: Individual Differences Within and Between Tasks?, Working Paper, Universität Mannheim.