Warum investieren so wenige Menschen am Aktienmarkt?

In der grauen Finanzmarkt-Theorie ist eigentlich alles ganz einfach: Jeder investiert einen gewissen Teil seines – egal wie großen – Vermögens entsprechend seiner Risiko- und Renditevorstellungen am Aktienmarkt. Und schneidet damit langfristig optimal ab. Das Problem: Wir sind in der Praxis meilenweit von diesem Idealzustand entfernt. So weit, dass man die Theorie getrost vergessen kann. Aber woran liegt das, und warum ist es gesellschaftlich ein so relevantes Thema?

Fakt ist: Der Anteil der an den Aktienmärkten investierten Menschen an der Gesamtbevölkerung ist niedrig. Selbst in den USA sind rund zwei Drittel aller Haushalte nicht direkt in Aktien invesiert [1]. Das Risiko und die Unsicherheit der Aktienanlage allein liefern keine ausreichende Erklärung für die geringe Partizipationsquote, die als sogenanntes “Participation Puzzle” bekannt ist. “Na gut”, könntest du nun sagen, “Und warum ist das so problematisch?"

In den vergangenen 30 Jahren ist die Ungleichverteilung des Vermögens in der Bevölkerung dramatisch angestiegen. Studien haben gezeigt, dass der Aktienmarkt bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt hat. Denn im Durchschnitt sind Menschen, die am Aktienmarkt investieren, reicher als andere – und diese Differenz wächst durch die an den Märkten erzielten Renditen weiter an [2]. Um eine Zunahme der Ungleichverteilung zumindest abzuschwächen, müssten sich die nicht investierten Bevölkerungsschichten sehr viel stärker am Aktienmarkt engagieren.

Doch warum passiert das nicht? Eine im Journal of Finance veröffentlichte Studie zeigte, dass die Partizipation am Aktienmarkt mit zunehmendem Intelligenzquotienten steigt [3]. Und zwar interessanter Weise unabhängig (!) von Faktoren wie Vermögen, Einkommen, Alter und Geschlecht. Mit zunehmendem IQ halten Menschen außerdem nicht nur einen höheren Anteil an Aktien und Fonds, sie tragen dabei aufgrund besserer Diversifikation sogar niedrigere Risiken. Die Forscher schlussfolgern, dass Menschen mit niedrigerem IQ und entsprechend niedrigerer Partizipation am Aktienmarkt langfristig geringere Renditen erzielen. Diese Differenz – vergrößert durch den Zinseszins über viele Jahre – trägt dazu bei, dass sich der Vermögensunterschied dadurch stärker ausweiten kann als durch Einkommensunterschiede. Und damit wächst die Ungleichheit.

Und das ist noch nicht alles. Im Fazit ihrer Studie verweisen die Autoren auf andere Untersuchungen, die zeigten, dass Menschen mit niedrigem IQ – wenn sie doch am Aktienmarkt partizipieren – häufiger Fehler machen, höhere Risiken eingehen und größere Handelskosten tragen. Auch treten in dieser Anlegergruppe ungünstige verhaltensbasierte Phänomene wie der Dispositionseffekt (Gewinne mitnehmen, Verluste laufen lassen) häufiger auf. Du kannst dir sicher vorstellen, dass sich all das negativ auf die Renditechancen auswirkt.

Ein weiterer Brennpunkt für die niedrige Quote ist das mangelnde Vertrauen in die Kapitalmärkte. Während die Finanzmarkttheorie diesen wichtigen Faktor bisher vernachlässigte, zeigt sich in der Praxis vor allem in Krisenzeiten die entscheidende Bedeutung von Vertrauen. Ein im Journal of Finance veröffentlichtes Paper kommt zu dem Schluss, dass mangelndes Vertrauen niedrige Partizipationsraten am Aktienmarkt erklären kann, selbst wenn sonst keine anderen Barrieren vorliegen [4].

Und es kommt noch dicker. Man mag es kaum glauben, aber repräsentative Studien in Italien haben ergeben, dass sich ein deutlicher Teil der Konsumenten überhaupt nicht bewusst ist, dass einfache Finanzinstrumente wie beispielsweise Aktien und Fonds existieren [5]. Das Bewusstsein der Menschen über Anlagemöglichkeiten ist umso höher, je besser deren Bildung, Vermögen und Einkommen ist. Die Autoren vermuten, dass die Partizipation sofort stark zunehmen würde, wenn sich nur alle Menschen der Möglichkeiten bewusst wären. Indem du das hier liest, bist du vielen anderen also schon einen Schritt voraus.

Interessant ist schließlich noch eine finnische Studie, die zeigt, dass die Partizipation mit der politischen Gesinnung zusammenhängen kann. Moderat linksgerichtete Menschen besitzen demnach mit einer Wahrscheinlichkeit von 17 bis 20% weniger Aktien als moderat Rechtsgerichtete [6]. Die Autoren schlussfolgern, dass persönliche Werte eine Rolle bei der Aktienmarkt-Partizipation spielen, die bis hin zu einer „Aktienmarkt-Aversion“ führen kann.

Was kann man tun, um die Quote zu steigern? Langfristig helfen können Maßnahmen wie bessere Finanzbildung, politische Initiative und nachhaltige (!) Vertrauensbildung. Es ist letztlich zum Wohle aller und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.


Quellen:
[1] Antoniou, C. / Harris, R. / Zhang, R. (2013), Ambinguity Aversion and Stock Market Participation: Evidence from Fund Flows, University of Exeter Business School.
[2] Favilukis, J. (2012), Inequality, Stock Market Participation, and the Equity Premium, London School of Economics.
[3] Grinblatt, M. / Keloharju, M. / Linnainmaa, J. (2011), IQ and Stock Market Participation, The Journal of Finance Vol. LXVI No. 6.
[4] Guiso, L. / Sapienza, P. / Zingales, L. (2008), Trusting the Stock Market, The Journal of Finance Vol. LXIII No. 6.
[5] Guiso, L. / Japelli, T. (2005), Awareness and stock market participation, CFS Working Paper.
[6] Kaustia, M. / Torstila, S. (2010), Stock market aversion? Political Preferences and Stock Market, Aalto University.

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